Weite Flächen ganz ohne Bäume oder graue sogenannte Dürrständer, wenige Meter hohe Stumpfe ohne jedes Grün - wer im Harz unterwegs ist, dem stockt der Atem. Das sieht apokalyptisch und nach Science Fiction, nach Szenen aus einem Katastrophenfilm aus. Man fragt sich unwillkürlich, wo im Harz der Wald eigentlich noch gesund ist. Hierzu hat uns Henning Geske, Leiter des Forstamts Seesen, einem von vier Forstämter der Niedersächsischen Landesforsten, als Guest Speaker auf dem Saisonabschlusswochenende, das vom 16. bis 18. September 2022 in Braunlage stattfand, einen sehr interessanten Einblick gegeben.
Was den Gast im Wald emotional berührt und verstört, ist durch wenige Zahlen, die uns Henning Geske präsentierte, eindrucksvoll belegt: von den rund 54.000 ha. Wald, die zu den Niedersächsischen Landesforsten gehören, sind – Stand Ende März 2022 - bereits die Hälfte nur noch Freifläche oder Dürrständer. Noch dramatischer sind die Zahlen bei der Fichtenbestandsfläche. Hier sind es sogar 85%.
Das ist dramatisch und beeinträchtigt den Wald als Erholungsraum ebenso wie in seiner wirtschaftlichen Nutzung, ganz besonders aber auch in seiner Bedeutung für die Umwelt, mit seinem Einfluss auf das Klima und als Lebensraum für Tiere sowie für den Pflanzenbestand.
Zu den Ursachen verwies Henning Geske auf den Klimawandel. Hierzu gehören etwa extreme Stürme, der Experte erinnerte an Kyrill im Jahr 2007, Niklas 2015 und Xavier im Jahr 2017. Sie alle haben dem Wald geschadet. Besonders schlimm ist aber die Trockenheit, die mit steigenden Temperaturen, größerer Zahl von Hitzetagen und einer Zunahme der Zeiten mit niedrigen Grundwasserständen einhergeht. So gab es seit 2018 Jahr für Jahr Dürresommer, die zu großer Trockenheit im Wald geführt haben.
Die Trockenheit schädigt nicht nur die Bäume unmittelbar, wobei die im Harz vorhandenen Baumarten damit unterschiedlich gut zurechtkommen. Vor allem erlahmt bei Fichten der Schutz gegen einen natürlichen Feind, den Fichtenborkenkäfer. Dieses Tier, das seit jeher im Harz vorkommt, befällt in großer Zahl die trockenen Fichten. Die Tiere dringen von außen in die Rinde der Bäume ein, wo sich dann die Brut der Käfer entwickelt. Gesunde Bäume schützen sich gegen den Befall, indem sie Harz absondern und so den Käfer töten. Dieser Abwehrmechanismus funktioniert aber nicht mehr, wenn der Baum durch Trockenheit geschwächt ist. Dann vermehren sich die Borkenkäfer exponentiell, ein Weibchen kann innerhalb eines Jahres über mehrere Generationen bis zu 200.000 Nachfahren produzieren und der Befall führt zum Absterben großer Fichtenbestände.
Die Auswirkungen Fichtenborkenkäferbefalls gibt es auch in anderen Wäldern. Wer etwa im Taunus unterwegs ist, ist inzwischen ebenfalls an immer größere Kahlflächen gewöhnt. Unser Gastredner wies aber auf eine Besonderheit im Harz hin. Aufgrund der intensiven Bergbautätigkeit, die in den letzten rund 1000 Jahren den Harz geprägt hat, wurde der Baumbestand in Fichtenmonokulturen umgewandelt. Holz wurde im Bergbau in großer Menge, insbesondere zum Ausschachten, benötigt.
Da Fichten schnell wachsen und das Holz stabil ist, waren diese über Jahrhunderte die bestimmende Baumart im Harz. Dann gab es im und nach dem 2. Weltkrieg eine weitreichende Entwaldung, der Bedarf nach Holz in der Kriegswirtschaft war groß, nach dem Krieg kamen die erheblichen Rodungen
durch die englische Besatzungsmacht als Reparationsleistung (sogenannte Reparationshiebe) dazu.
Das führte in den Folgejahren zu Wiederaufforstungen in Fichtenmonokulturen. Henning Geske war hierbei der Hinweis wichtig, dass darin seinerzeit kein Problem gesehen wurde: „Man wusste es damals nicht besser.“ Zudem gibt es noch die Besonderheiten des Harz-Nationalparks. Dieser bestimmt weite
Teile des Hochharz. Dort wird der Wald sich selbst überlassen, was zu einer weiteren Ausbreitung des Fichtenborkenkäfers führt. Hierbei stoßen verschiedene Auffassungen aufeinander, aber auch verschiedene Zuständigkeiten. Für den Nationalpark sind die Niedersächsischen Landesforste nicht zuständig, sie stehen unter der Leitung des Landesumweltministeriums.
Unser Gastredner war in diesem Punkt sehr zurückhaltend. Es kann aber den Forstämtern nicht gefallen, wenn ihr Kampf gegen den Borkenkäfer durch die Ausbreitungsmöglichkeit im Nationalpark erschwert wird.
Was kann man tun, um das Problem in den Griff zu bekommen? Es geht um verschiedene Maßnahmen. Sehr eindrucksvoll schilderte Henning Geske, dass die Forstämter eine eigene Task Force einsetzen, die in den Wäldern unterwegs ist, um vom Borkenkäfer befallene Fichten schnellst möglich zu identifizieren, zu fällen und aus dem Wald zu befördern. Hierdurch soll vermieden werden, dass sich die Käfer im befallenen Baum vermehren können. Eine ganz wesentliche Rolle spielt auch die Aufforstung gerodeter Flächen. Hier experimentieren die vier Forstämter mit verschiedenen Baumarten, wobei mehr als fünfzig Prozent mit Laubbäumen aufgeforstet werden, weit überwiegend mit der Buche, gefolgt von der Roteiche. Aber auch Nadelbäume werden gepflanzt, den größten Anteil
hat hierbei die Douglasie, gefolgt von Lärche und Kiefer. Welche Baumarten für den Harz am besten geeignet sind, ist noch völlig offen. Die Herausforderungen sind groß, aber Henning Geske zeigte sich zuversichtlich, dass der Wald im Harz trotz aller Widrigkeiten eine Zukunft hat